ALLEIN IN DER ZONE

Die Filmaufnahmen sind fertiggestellt! Für das Projekt fehlten uns nur noch die Bilder des Kernkraftwerks selbst. Daher war das Hauptziel dieser Herbstreise, die notwendigen Genehmigungen und Zugang zum Werksgelände zu bekommen. Und es war nicht einfach. Eine Zugangsgenehmigung kann nur durch Arbeiter anderer Kraftwerke oder Wissenschaftler, die zum Thema Nuklearenergie arbeiten, erlangt werden. Auch Journalisten erhalten keinen Zugang. So war es eine große Freude als es uns endlich gelang! Diese Herbstreise war außerdem dem Abschluss einiger Aufnahmen gewidmet, die im Frühjahr nicht geschafft wurden als der Hauptteil des Filmes gedreht wurde. Und den Dingen, die verschwommen waren oder wo ich vergass die Kamera im Schlüsselmoment einzuschalten. Wir erreichten auch einige neue Orte.
Und wieder bemerkten wir Veränderungen, die seit unserem letzten Ausflug (im Frühling) geschehen sind. Und das ist es, womit wir den neuesten Bericht beginnen werden. Ein Teil der Veränderungen ist natürlich der Einfluss der Natur, so der häufige Regen. Wasser beginnt durch immer undichtere Dächer auf immer niedrigere Etagen zu tropfen und dabei alles auf seinem Weg zu zerstören. Die Nässe zerstört die Überreste von Möbeln, Tapeten, zurückgelassenen Gegenständen. Inmitten der Räume wachsen kleine Bäume, die früher oder später weitere Zerstörung mit ihren Wurzeln bringen werden. Das Ergebnis ist, dass ganze Böden und sogar Gebäude immer häufiger einzustürzen drohen. Man muss besonders bei Balkons aufpassen, da sie dazu neigen, zuerst einzustürzen. Es gibt schon 2 Gebäude in der Zone, die zumindest teilweise eingestürzt sind und mehr Teile können jeden Moment herunterfallen. Das Ergebnis? Während des letzten Besuchs war das Hinaufsteigen auf Dächer streng verboten. Zumindest in der Theorie.

Teilweise eingestürzte Schule

Die weiteren Veränderungen sind die Folge menschlicher Handlungen. Diese können in zwei Gruppen unterteilt werden. Die erste sind die Touristen, die in hohem Grade zur Verwüstung der Zone und der dort verbliebenen Gegenstände beitragen. Die zweite Gruppe sind Leute, die die wertvollsten Gegenstände in der Zone abbauen. Ich weiß nicht, ob sie dies legal tun oder nicht. Und was könnte die wertvollste Sache in der Zone sein? Natürlich Metall. Keine Edelmetalle, sondern ganz gewöhnliche. Metall von Autos, Metall von Baustellen und Metall von den Überresten der dort befindlichen Maschinen. Überall kann man Behälter und Gasschweißbrenner sehen, manchmal auch arbeitende Menschen. Auf diese Weise verschwinden die Blöcke 5 und 6 des Reaktors. Nicht nur die Ausstattung innen im Gebäude verschwindet – sondern sogar eines der Dächer des Gebäudes. Der Zugang zum Dach von Block 5/6 war schon vorher technisch schwierig, nun ist es ein waghalsiges Unternehmen :)

Die einzigen Stufen, die nach oben führen und darunter das herausgeschnittene Teil des Daches

Vor nicht allzu langer Zeit gab es hier ein Dach

Da viele Leser es speziell angefragt haben, gibt es hier ein paar mehr Bilder vom Inneren von Block 5/6:

Eine der Hallen in Block 5

Das erinnert mich an eine Szene aus dem Film „Alien“

Die leistungsstarken Lampen konnten sogar riesige Räume beleuchten

Und nun verschwindet die Zone. Unwiederbringlich. In solchen Momenten wie diesen bedauere ich, dass ich nicht schon vor 10 anstatt 3 Jahren begonnen habe, hierher zu kommen. Und im gleichen Moment bin ich froh, dass ich während dieser drei Jahre in der Lange war solch reichhaltiges photographisches Material zu sammeln. Die meisten dieser Objekte werden sicherlich bald verschwinden. Nur die Betonskelette werden bleiben und die Natur wird die Arbeit selbst beenden.
Aber wie einige sicherlich wissen, sind Block 5 und 6 nicht die metallhaltigsten Konstruktionen in der Zone. Was hat noch mehr Metall und liegt in der Zone? Natürlich, das „Auge von Moskau“. Die Antenne ist eine große Verlockung für Schrottsammler. Schaut auf das, was am Fuß der Antenne liegt. Eines ist klar, es ist nicht von selbst nach unten gefallen. An den Enden jedes Elements sind deutliche Brennschnitte zu erkennen.

Abgeschnittene Teile der Antenne am Boden

Natürlich haben wir während des Ausflugs auch alle wichtigen Gebäude und Orte besucht, die Gegenstand der vorherigen Berichte waren. Wie bei den zuvor beschriebenen Orten, wollen wir die Änderungen sehen, die unvermeidlich überall eingetreten sind. Aber ich werde euch nicht wieder mit den Bildern der gleichen Orte langweilen. Zur Abwechslung werde ich etwas anderes zeigen, die Arbeit der Photographen mit denen ich das Vergnügen hatte, in der Zone zu arbeiten. Das erste ist eine Sammlung dreidimensionaler Photos. Als ich meinen Freund das erste Mal mit zwei kleinen Kameras mit manuellem Auslöser sah, die mit einer Schiene verbunden waren, hatte ich Zweifel ob des Ergebnisses. Aber das Ergebnis übertraf meine Erwartungen. Um jedoch ein gutes dreidimensionales Bild zu sehen, muss man die Bilder auf einem großen Bildschirm ansehen. Mindestens 20 Zoll oder noch größer. Und vergiss nicht deine 3D-Brille aufzusetzen, eine gewöhnliche mit blauer und roter Folie bzw. Glass ist ausreichend. Dies sind die ersten 3D-Bilder aus der Zone, die ich gesehen habe. Ich enthülle sicherlich nichts Neues, wenn ich sage, dass diese die in der Zone vorherrschende Atmosphäre noch näher und mit noch größerem Realismus präsentieren. Der Photograph ist Mariusz Siwiec, dem ich für die Bereitstellung der Bilder danke.

Und jetzt zur Abwechslung ein Film. Ungewöhnlicherweise von einer Gruppe von Photographen aufgenommen. Eigentlich wohl von Schmoo selbst, obwohl ich nie bemerkt habe, dass sie einen Film drehte. Man kann die künstlerischen Schnitte, die Arbeit mit dem Fokus, der Zeitlupe, das passende Fehlen von Farben sehen. Sie fängt die Atmosphäre ein. Und ein Bravo auf die Musik! Der Film ist ausgezeichnet! Besonders, weil man dort sehen kann wie ich meinen eigenen Film drehe. Ich werde etwas haben, was ich zu „Hinter den Kulissen“ für meinen Film hinzufügen kann :) Schmoo hat einen Film mit einem ganz anderen Stil gemacht als der, an dem ich gerade arbeite. Ein großartiges Souvenir vom Ausflug. Schaut einfach selbst.

Und da wir bereits über Filme sprechen, wäre es eine Sünde nicht meinen zu erwähnen. Er ist anders als der obige und anders als die meisten, die ich bisher gesehen habe. Meine Idee war es, die Atmosphäre in der Zone so realitätsgetreu wie möglich wiederzugeben. Voller Realismus. Deshalb wird im Film keine Betonung auf der Schönheit der Bilder liegen, es wird keine Nahaufnahmen, keine flüssigen Kamerabewegungen oder Farbkorrekturen geben. Die Post-Produktion ist auf ein Minimum reduziert. Außerdem wird es keine traurigen Geschichten, Beschreibungen menschlicher Tragödien und Folgen des Unfalls geben. Nichts dergleichen. Ich stelle die Wirklichkeit dar, genau so wie ich sie vorgefunden habe. Ohne jegliche Schönfärberei. Außerdem habe ich mich entschieden, eine an meinem Helm montierte Kamera zu benutzen, um die Eindrücke des Zuschauers zu verstärken und einen größeren Realismus zu erhalten. Fans von Videospielen werden sicherlich FFP (First Person Perspective), die Egoperspektive kennen. Dies wurde gemacht, um die Zone durch meine Augen zu sehen, aus meiner Perspektive, so wie ich sie sah. Um sich so zu fühlen als wenn sie es selbst gesehen haben. Und außerdem war es ein großer Vorteil freie Hände zu haben :) Dies erlaubte mir, Orte zu erreichen, wo ich eine große, professionelle Kamera nicht hätte gebrauchen können. Natürlich kommt das Benutzen einer kleinen Kamera zum Preis einer geringeren Bildqualität. Man gewinnt, man verliert. Zum Schluss habe ich etwas schnelle Musik hinzugefügt, um dem Film einen dynamischeren Charakter zu geben. Aber genug der Beschreibung, es ist besser, sich den Trailer selbst anzusehen. Ich hoffe, dass er gefällt und dass er zumindest Lust auf das fertige Werk machen wird :) (Ändere für eine höhere Qualität die Auflösung zu 720p oder 1080p).

UPDATE: DER FERTIGE FILM IST HIER ERHÄLTLICH

Und hier schließlich, das, was am Anfang hätte stehen müssen, d.h. das wichtigste Ziel dieser Reise. Dies war natürlich das Kernkraftwerk. Der am besten bewachte und unzugänglichste Ort in der Zone. Noch hochtrabender: wo die Geschichte ihren Verlauf änderte, oder wenn man möchte, der Ort, wo alles begann :)
Nach dem Einholen aller notwendigen Genehmigungen geht alles andere schnell. Mit der Genehmigung in der Hand vorbei an einigen Tore, Metalldetektoren, Fingerabdruck-Lesegeräten, Zugangscodes, Schlüsseln, Kameras und Telefonen. Unterwegs das obligatorische Bekleiden mit weißen Laborkittel und Mützen. Am Ende des zweiten Korridors sind Türen, von denen niemand vermuten würde, dass sie zum Maschinenraum eines der Blöcke des Kernkraftwerks führen. Ein weiteres Telefon an den Türen, dieses Mal zum Leiter des Blocks, der drinnen sitzt und die einzige Person ist, die die Türen öffnen kann.
Das Innere würde nicht wie der Kontrollraum eines Kernkraftwerks aussehen, wenn es nicht die Ausrüstung geben würde. Holztäfelung, Holztische. Nichts hat sich hier geändert seitdem der Reaktor abgeschaltet wurde (1997). Und drinnen nur eine Person. Der Leiter des Blocks, der mir mit Vergnügen erklärte, was er macht und alle meine Fragen beantwortete. Und weil wir uns so ausgiebig unterhalten haben und alles auf der Kamera gespeichert wurde, kann man es bald selbst sehen.

Sehe ich nicht gut in einem Laborkittel aus? Man könnte denken, ich sei der Leiter des Reaktors :)

„Du kannst alles machen, aber fass nichts an…”

Da wir schon über Interviews sprechen, lohnt es sich unsere Besuche im verlassenen Dorf zu erwähnen. Nicht vollständig verlassen. Einige hundert Häuser, alle leer bis auf zwei, vielleicht drei. Nur wenige Umsiedler leben in ihnen. Menschen, die trotz des Regierungsverbots zurückgekehrt sind und die ganze Zeit in der geschlossenen Zone leben. Sie sind heute alle um die 70 bis 80 Jahre alt. Zum Zeitpunkt des Unfalls waren sie schon so alt, dass sie keinen neuen Ort finden konnten oder wollten. Ihre Kinder und Enkel leben schon weit entfernt von der Zone und kommen ihre Eltern und Großeltern sehr selten in der Zone besuchen. Daher machten wir, ausgerüstet mit Lebensmitteln, einen Besuch. Der Anblick machte uns niedergeschlagen.

Während des Interviews

Ein verheiratetes Paar. Alt, kränklich, vernachlässigt. Die Frau ist noch immer „gut in Schuss“, fröhlich, lächelnd. Ihr Ehemann kommt, um uns zu begrüßen, obwohl er sich kaum noch bewegen kann. Trotz ihres Alters müssen sie alles selbst machen. Sie haben eine Kuh und einige Truthähne. Sie essen, was sie selbst anbauen oder sammeln. Einst kam ein Bus einmal im Monat, um sie zum Markt mitzunehmen. Jetzt ist selbst dieser eingestellt. Aber überraschenderweise erinnert sich die alte Frau trotz ihres fortgeschrittenen Alters sehr klar an „jene“ Zeiten. Sie erklärt sich bereit, mit uns darüber zu sprechen. Aber lasst uns nicht den Dingen vorgreifen. Ihr müsst bis zur Premiere des Films warten, um die Geschichte der alten Frau zu hören :)

Die restlichen Bewohner sind gegangen und nie wieder zurückgekommen. Weil sie nicht konnten.

Während des Besuchs finden wir auch einen völlig unbekannten Fahrzeugfriedhof am Rand von Prypjat.

Der neu entdeckte Lagerplatz für Fahrzeuge

Wir sind auch zum Krankenhaus zurückgekehrt, wo wir den radioaktiven Raum im Keller des Gebäudes sorgfältig erkundet haben. Die ersten Feuerwehrmänner, die das Feuer im Werk bekämpften, kamen mit ihren Verbrennungen hierher. Es liegen überall verteilt Kleidungsstücke herum. Gummistiefel, Lederstiefel und einfache Stoffschuhe. Wild verstreute Kleidung. Und der Helm eines Feuerwehrmannes. In einem weiteren Raum hängt noch mehr Kleidung auf einem Bügel, mit den Schuhen im Regal nebenan.
Wir hatten ein genaueres Dosimeter bei uns, da wir den Messwert überprüfen wollten. Wir erhielten den höchsten Messwert in dem Raum, in dem sich die Kleidung der Feuerwehrmänner befand. Genau neben diesen erreichte die Strahlung 3,7 mSv/h (0,37 R/h). Neben dem Helm „nur“ 330 μSv/h (33 mR/h). An diesem Ort versagen alle gewöhnlichen Dosimeter einfach. Sie sind nicht in der Lage, hier das Strahlungsniveau zu messen. In einem Satz – ich empfehle es nicht, sich hierhin ohne Spezialausrüstung zu wagen.

Radioaktive Schuhe

Garderobe

Der Helm des Feuerwehrmannes

Und was gibt es in Tschernobyl selbst? Die Natur siegt über den Menschen. Der Blick auf dasselbe Haus von vorn und von hinten.

Von vorn

Von hinten

Auch nachts langweilen wir uns nicht. Die Lenin-Straße, die einst längste Straße in Tschernobyl. Dutzende, sogar hunderte verlassener Häuser. Überwachsen und oft kaum sichtbar von der Straße. Selbst gebaut von Menschen, die hier einst lebten. Für Jahre, für Jahrhunderte. Für Söhne, für Enkel. Auf einem von ihnen finden wir die Inschrift „Es tut mir leid, leb wohl, mein Haus“.

„Es tut mir leid, leb wohl, mein Haus”

Auf dem Friedhof ist eine ähnlich deprimierende Atmosphäre. Die ältesten Gräber sind nur einige Jahrzehnte alt. Metallkreuze, die älteren sind aus Holz gemacht. Einige verfallen, im Alter umgefallen oder komplett durch Überwuchs verborgen. Sowjetische Symbole – Sterne, Sicheln, Hämmer.




Das war vorerst alles. Vorerst, denn unsere nächste Rückkehr in die Zone wird bald sein. Viele Leute fragen mich, warum ich schon wieder dorthin gehe. Es gibt noch immer viel mehr Dinge zu sehen und viele Projekte durchzuführen. Genug für mindestens einige weitere Besuche. Wie ein Besuch von Block Nr. 4. Es ist sehr schwierig dorthin zu gelangen, aber ich versuche es die ganze Zeit.
Obendrein werden die Bauarbeiten am neuen Sarkophag fortgesetzt, was es noch schwieriger macht, eine Genehmigung zu erhalten. Die ukrainische Regierung hat angekündigt, dass 2011 das Jahr sein wird, in welchem das „Problem mit dem Werk von Tschernobyl vollständig beseitigt wird“. Dies bedeutet, dass der neue Sarkophag Block 4 endgültig bedecken sollte. Werde ich erfolgreich sein? Wir werden abwarten und Tee trinken. Werde ich es dorthin schaffen? Ich weiß es nicht. Der Weg, der dorthin führt, ist steinig, aber noch führt ein schmaler Eingang zum Kontrollraum von Reaktor 4…
Es gibt außerdem einige Orte über die es mir aktuell nicht erlaubt ist, zu schreiben. Es gibt ein paar unfreundliche Menschen, die nur darauf warten, meine Pläne zu durchkreuzen. Aber wenn ich erfolgreich bin, ist eine Sache sicher. IHR WERDET ES SEHEN!
Die Zone verbirgt noch viele Geheimnisse…

DIE NÄCHSTE REISE ZUR SPERRZONE – 2012 – Details – arek (at) podniesinski (dot) pl

P.S.
Die Bilder von mir wurden von Steph Theune und Bartek Baczmański gemacht.

Previous photo reports from the Zone:

1 Expedition

2 Expedition

3 Expedition

4 Expedition