FUKUSHIMA

MADE IN JAPAN

Als ich vor sieben Jahren zum ersten Mal Chernobyl besuchte, hätte ich nicht geglaubt, dass sich eine ähnliche Katastrophe jemals wieder irgendwo zutragen könnte, und am allerwenigsten in Japan. Nukleare Energie war schließlich sicher, die Technik immer weniger fehleranfällig, ein ähnliches Unglück konnte deshalb nie wieder passieren. So sagten die Wissenschaftler, so sagten die Firmen, die Atomkraftwerke bauten, und so sagte die Regierung.

Doch es ist geschehen.

Bei der Planung meiner Reise nach Fukushima wusste ich nicht, was mich erwarten würde. Sprache, Kultur, Traditionen und Bräuche sind dort anders, und was würde ich dort finden, vier Jahre nach dem Unglück? Etwas Ähnliches wie in Chernobyl?

DAS UNGLÜCK

Diese Fotoreportage soll nicht dazu dienen, die Ereignisse rund um das Desaster ein weiteres Mal zu erzählen. Wie bei dem Unglück vom 26. April 1986 kennen die meisten Leser die Geschichte ohnehin. Ein wichtiger Aspekt jedoch ist erwähnenswert, der eine wichtige Rolle spielt, wenn man die Geschichte näher betrachtet. Weder das Erdbeben noch der Tsunami tragen die Schuld für die Katastrophe im AKW Fukushima Daiichi, sondern Menschen. Der Bericht, den die mit der Untersuchung der Katastrophe beauftragte japanische Regierungskommission vorgelegt hat, lässt daran keinen Zweifel. Die Katastrophe hätte vorhergesehen und verhindert werden können. Wie in Chernobyl waren es Menschen, nicht die Technologie, die die Hauptverantwortung für das Unglück tragen.

Wie wir schon bald sehen werden, haben die beiden GAUs sehr viel mehr gemeinsam.

STRAHLUNG ODER EVAKUIERUNG

Unmittelbar nach dem Unglück im AKW Fukushima wurde ein Gebiet im Radius von 3, später 20 km eingerichtet, aus welchem rund 160.000 Einwohner evakuiert wurden. Chaos und ein ineffizientes Überwachungssystem für Strahlungslevel führten dazu, dass viele Familien auseinandergerissen oder an Orte evakuiert wurden, an denen die Kontamination sogar noch höher war. In den folgenden Monaten und Jahren, als die Messungen immer präziser wurden, entwickelten sich die Grenzen der Zone weiter. Man unterteilte die Zone nach Strahlungsniveau und der Wahrscheinlichkeit, dass die Einwohner zurückkommen würden können.

Vier Jahre nach dem Unfall sind über 120.000 Menschen noch immer nicht in der Lage, in ihre Häuser zurückzukehren, und viele von ihnen leben noch immer in behelfsmäßigen Unterkünften, die man eigens für sie gebaut hat. Wie in Chernobyl haben einige Einwohner sich der Evakuierungsanordnung widersetzt und sind kurz nach dem Unglück in ihre Häuser zurückgekehrt. Manche haben sie auch nie verlassen.

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Veränderungen in den Grenzen der Zone zwischen 2011 und 2015

Der Zutritt zu Städten und Ortschaften in der Zone mit der höchsten Strahlenbelastung – rot markiert – ist nicht gestattet, außer mit einer Sondergenehmigung. Aufgrund der hohen Strahlenbelastung (> 50 mSv/y) werden hier keinerlei Reparatur- und Dekontaminierungsarbeiten durchgeführt. Der Regierung zufolge werden die Einwohner dieser Ortschaften für lange Zeit nicht zurückkehren können – wenn überhaupt.

Die orange Zone ist weniger kontaminiert, aber genauso unbewohnbar, doch weil die Strahlenbelastung hier niedriger ist (20-50 mSv/Jahr), finden hier Säuberungs- und Dekontaminierungsarbeiten statt. Den Einwohnern ist es gestattet, ihre Häuser zu besuchen, aber noch dürfen sie nicht darin wohnen.

Die Zone mit dem niedrigsten Strahlungsniveau (< 20 mSv/y) wird als grüne Zone bezeichnet, und Dekontaminierungsarbeiten sind hier bereits abgeschlossen. Die Aufräumarbeiten befinden sich in der Endphase, und schon bald steht die Aufhebung des Evakuierungsbefehls an.

DEKONTAMINIERUNG

Beim Betreten der Zone fällt einem als Erstes die unglaubliche Größenordnung der Dekontaminierungsarbeiten auf. Zwanzigtausend Arbeiter säubern hier gewissenhaft jedes einzelne Stück Erdboden. Sie entfernen die oberste, am stärksten verstrahlte Schicht und verstauen sie in Säcke, die dann zu einer der tausenden Deponien gebracht werden. Diese Säcke sind einfach überall. Sie werden zu einem dauerhaften Teil der Landschaft von Fukushima.

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Deponien mit Säcken voller kontaminiertem Erdreich sind üblicherweise auf urbarem Land angelegt. Um Platz zu sparen, werden sie in Schichten gestapelt, eine über der anderen.

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Millionen von Säcken. Luftaufnahme.

Dekontaminierungsarbeiten enden nicht mit dem Entfernen von kontaminiertem Erdreich. Städte und Dörfer werden ebenfalls gesäubert, streng systematisch, Straße um Straße und Haus um Haus. Die Wände und Dächer jedes einzelnen Gebäudes werden besprüht und gereinigt. Die Ausmaße dieses Unterfangens und die Geschwindigkeit der Arbeiten sind bewundernswert. Man kann eindeutig erkennen, dass den Arbeitern der Abschluss der Säuberungsarbeiten an den Häusern am Herzen liegt, damit die Einwohner so schnell als möglich wieder zurückkehren können.

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Eine von tausenden Deponien mit Säcken voller radioaktivem Erdreich

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Eines nach dem anderen werden die Dächer der Wohnhäuser von Hand gesäubert

Was die Arbeiter, und schlussendlich auch die Regierung, die die Arbeiten finanziert, hier zu erreichen versuchen, ist nicht zwingend was die Einwohner selbst wünschen. Das kontaminierte Erdreich wird nicht wiederverwendet, es verlässt nicht einmal die Zone. Es wird lediglich außerhalb der Stadt gebracht, oft genug nicht weiter als bis zu den Außenbezirken. Die kostspielige Operation besteht im Grunde aus nichts als einer Verlagerung des Problems von einem Ort an einen anderen, einfach nur, um es aus den Städten, in welche die Einwohner zurückkehren sollen, hinaus zu schaffen.

Noch ist unklar, wo der kontaminierte Müll hin soll, vor allem weil die Einwohner gegen die Langzeit-Einrichtung von Deponien in der Nähe ihrer Häuser protestieren. Sie sind unwillig, ihren Grund und Boden für dieses Ansinnen zu verkaufen oder zu verpachten. Den Beteuerungen der Regierung, die Säcke wären in dreißig Jahren verschwunden, schenken sie keinen Glauben. Sie fürchten vielmehr, dass der radioaktive Abfall hier für immer bleiben wird.

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Ein Wohngebäude mit Aussicht auf eine der Deponien mit radioaktivem Erdreich

Viele Gebiete können auch aufgrund dichter Wälder gar nicht dekontaminiert werden, oder weil es sich um Berglandschaft handelt. Nur Wohngebäude und das umliegende Gebiet werden dekontaminiert, ebenso wie zehn Meter breite Streifen entlang der Straßen. Dies schürt berechtigte Ängste nicht nur der Einwohner, sondern auch der Wissenschaftler, dass jeglicher stärkere Regen radioaktive Isotope aus den Bergen oder den Wäldern spülen und die bewohnten Gebiete erneut kontaminieren wird. Dies trifft auch auf Brände zu, die mit Unterstützung des Winds radioaktive Isotope problemlos in die umliegenden Städte transportieren können. Unbegründet sind diese Ängste keineswegs: in Chernobyl ist dies allein im letzten Jahr zwei Mal geschehen.

Bedenkt man die Situation, erscheint es kaum verwunderlich, dass die Einwohner den Obrigkeiten misstrauen, sich Sorgen um Kontaminierung machen und nicht in ihre Häuser zurückkehren wollen. Eine Umfrage unter früheren Einwohnern der roten Zone hat festgestellt, dass nur 10% der Befragten in ihre Häuser zurückkehren wollen, während 65% der Evakuierten keine Rückkehr in Betracht ziehen. Was bleibt ihnen auch, zu dem sie zurückkehren könnten? Das Fehlen von Arbeitsplätzen, Infrastruktur und medizinischer Versorgung ist Abschreckung genug, selbst für die Optimistischsten unter den Einwohnern, und mit jedem Jahr, das vergeht, wird alles schwieriger; die Menschen werden älter, genau wie die verlassenen Häuser, die niemand renoviert. Ob diese Städte wohl für immer verlassen bleiben werden?

Es gibt auch Gründe für die Unwilligkeit zur Rückkehr, über die die Evakuierten nicht gerne sprechen, und zwar handelt es sich dabei um die Entschädigungszahlungen und die verschiedenen Förderungen und Steuererleichterungen, die die Evakuierten erhalten. Die Entschädigung für den erlittenen seelischen Schaden alleine, die jeder Evakuierte erhält, beläuft sich auf 100.000 Yen (ca. 850 Dollar). Einige der Einwohner haben protestiert und sogar rechtliche Schritte gegen die Regierung in die Wege geleitet, welche vorhat, sämtliche Entschädigungen ein Jahr nach Öffnung der jeweiligen Zone (grün und orange) einzustellen. Man befürchtet, dies wäre ein Versuch der Machthaber, die Menschen zur Rückkehr zu nötigen, vor allem weil die Regierung den Grenzwert für zulässige Strahlenbelastung völlig willkürlich von einem auf zwanzig mSv pro Jahr angehoben hat.

NO-GO ZONE

Die Entscheidung, erst vier Jahre nach dem Unglück nach Fukushima zu reisen, war durchaus eine bewusst Getroffene, da bis dahin ein Großteil der Zerstörung, die das Erdbeben und der Tsunami angerichtet hatten, bereits beseitigt war. Vor allen Dingen möchte ich mich auf den Unfall im AKW und dessen Auswirkungen auf die Umwelt und die evakuierten Bewohner konzentrieren, und sie mit Chernobyl vergleichen. Zu diesem Zweck möchte ich vor allem die orange und rote Zone besichtigen, die am stärksten verstrahlt und völlig verlassen sind. In Letzterer gehen keinerlei Aufräum- und Dekontaminierungsarbeiten vonstatten. Hier ist die Zeit stehengeblieben, fast als wäre das Unglück erst gestern passiert.

Für jede der Städte in der roten Zone ist eine eigene Sondergenehmigung erforderlich, die nur an jene erteilt wird, die einen legitimen, offiziellen Grund vorweisen können, sie zu betreten. Touristen sind nicht erwünscht. Sogar Journalisten sind nicht willkommen. Die Obrigkeiten sind argwöhnisch, sie erfragen die Gründe, welche Themen man zu behandeln gedenkt, und die Einstellung zur Katastrophe. Sie sorgen sich um mangelnde Genauigkeit oder Objektivität seitens der Journalisten, wenn diese das Thema behandeln, doch vermutlich sind sie in erster Linie besorgt, für ihre Taten kritisiert zu werden.

Ich versuche, Zutritt zur No-Go-Zone zu organisieren, während ich noch in Polen bin. Hilfe erhalte ich von Kollegen, Buchautoren und Journalisten, die bereits über Fukushima geschrieben haben. Sie empfehlen Freunde, diese empfehlen Freunde, und diese empfehlen wiederum Freunde. Doch erst als ich nach Fukushima reise und zwei Wochen dort verbringe, gelingt es mir, Kontakt zu den richtigen Leuten herzustellen. Schließlich stellt sich heraus, dass mein Wissen und die Bilder, die ich im Laufe meiner Laufbahn auf zahlreichen Reisen nach Chernobyl gemacht habe, diese Menschen davon überzeugen, mir zu helfen.

Während ich auf die Ausstellung der Genehmigungen warte, besuche ich die Städte in der orangen Zone. Es dauert zwei Tage, bis ich das Haus von Naoto Matsumura finde, eines Bauern, der illegal in die Zone zurückgekehrt ist, die damals noch in der roten Zone lag, bereits kurz nach dem Unglück. Er kehrte zurück, um sich um die verlassenen Tiere zu kümmern. Als Grund gibt er an, dass er den Anblick von ganzen Rinderherden nicht ertragen konnte, die ziellos durch die verlassenen Straßen wanderten, wo ihre Besitzer vor der Strahlung geflüchtet waren. Er erzählt, wie sie verhungert sind oder von den Obrigkeiten getötet und wiederverwertet wurden. Was haben sie getan, das ihre grundlose Tötung rechtfertigen würde, fragt er, als er versucht, zu erklären, warum er illegal wieder zurückgekehrt ist.

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Der Verfasser und Naoto Matsumura mit seinen Tieren

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Matsumura kümmert sich auch um verlassene Strauße

Als Matsumura herausfindet, dass ich regelmäßig Chernobyl besuche, wird der Fragensteller schnell zum Befragten. Matsumura ist neugierig, wie die Evakuierung in Chernobyl vonstattenging, die Dekontaminierungsarbeiten und die Strahlungslevel. Er stellt Detailfragen, beginnt Diskussionen, vergleicht Strahlenlevel. Es wird schnell klar, dass er durch das Desaster von Fukushima die Fachbegriffe rund um das Thema gelernt hat. Leider vergeht die Zeit unaufhaltsam, und Matsumura muss sich wieder um seine Pflichten kümmern. Wir verabreden uns für ein weiteres Treffen im Herbst.

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Naoto Matsumurą in seinem Haus

Dauerhaft in die Städte in der orangen Zone zurückzukehren, ist den Einwohnern nach wie vor nicht erlaubt. Sie dürfen nur untertags dort Zeit verbringen, doch auch untertags ist es schwer, hier irgendjemanden zu finden. Die meisten wollen gar nicht zurückkehren, und schon recht bald wird es auch nichts mehr geben, zu dem sie zurückkehren könnten. Viele der verlassenen Häuser, allen voran die Holzbauten, sind bereits so baufällig, dass eine Instandsetzung sich schon bald finanziell nicht mehr rentieren wird, und werden sie nicht renoviert, beginnen sie einzustürzen. Ob es sich dabei um eine bewusste Entscheidung der Einwohner handelt, die dies zulassen, weil sie bereits für sich entschieden haben, niemals wieder hierher zurückzukehren?

Junge Menschen und Familien mit Kindern haben Fukushima schon vor langer Zeit verlassen. Auf der Suche nach einem besseren Leben, einer besseren Zukunft sind sie nach Tokyo oder in andere große Städte abgewandert. Nur die älteren Einwohner, deren Bindung zu dem Ort, an dem sie bereits seit Jahrzehnten leben, stärker ist, leben lieber in der Nähe, in eigens errichteten Unterkünften. Andere sind zu Verwandten geflohen, doch nicht für lange, um ihnen nicht zur Last zu fallen. Sie sind bereits zurückgekehrt in ihre Notquartiere – zwei kleine Räume und eine Küche am Gang.

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Youko Nozawa zeigt mir die Notquartiere, in denen sie nach Wochen des Umherziehens im Zuge der Evakuierung gelandet ist. Hereingebeten zu werden ist ein ausgesprochenes Privileg und ein Vertrauensbeweis seitens der Japaner, die großen Wert auf Privatsphäre legen.

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Kouichi Nozawa, Youkos Ehemann, in einem Zimmer des Notquartiers

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Die Zubereitung einer Mahlzeit

NAMIE

Eine Woche später halte ich die Genehmigung in Händen und kann mich endlich auf dem Weg machen nach Namie, eine von drei Städten in der No-Go-Zone. Obwohl die Stadt völlig leer ist, funktionieren die Ampeln noch, und abends geht die Straßenbeleuchtung an. Hin und wieder kommt ein Polizeiwagen vorbei und hält an jeder roten Ampel an, obwohl die Gegend völlig verlassen ist. Auch neben unserem Wagen halten sie an und studieren sorgfältig unsere Genehmigungen.

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Checkpoint

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Eine Spirituosenhandlung

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Ein verlassenes Motorrad

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Polizeikontrolle

Ich reise in Begleitung von drei Einwohnern von Namie, die mir die Häuser zeigen wollen, aus denen sie evakuiert wurden. Das Erdbeben hat den Häusern nur marginalen Schaden zugefügt, und aufgrund ihrer Entfernung vom Ozean waren sie auch keiner Gefahr seitens der mörderischen Tsunamiwelle ausgesetzt. Es war allein die radioaktive Wolke, die die Einwohner in die Flucht trieb.

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Yukiko Tajiri zeigt auf das Haus, in dem sie vor der Evakuierung gelebt hat

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Im Inneren des Hauses

Um die Auswirkungen des Tsunami zu sehen, fahren wir zur Küste, wo alle Gebäude zerstört wurden. Auch wenn vier Jahre vergangen sind, dauern die Aufräumarbeiten noch an, auch wenn ein Großteil des Schadens bereits behoben ist. Hinter den Gebäuden sticht ein Betongebäude heraus, das sich der zerstörerischen Kraft des Tsunami erfolgreich widersetzt hat. Es handelt sich um eine Schule, gebaut mit Geld von TEPCO, deren Schüler sich zum Glück durch die Flucht auf naheliegende Hügel retten konnten.

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Das Grundschulgebäude, das überlebt hat, liegt gerade einmal 300 Meter vom Ozean entfernt. Auf dem Turm, wie auch in allen Klassenzimmern, blieben die Uhren stehen, als der Tsunami kam (und der Strom ausfiel).

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Die Überreste der Zerstörung nach dem Tsunami. Ein Bild vom Aussichtsturm des Schulgebäudes aus.

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Verlassene Fahrzeuge. Ohne die Erlaubnis der Besitzer dürfen sie nicht weggebracht werden. Im Hintergrund die Hügel, auf die sich die Schulkinder gerettet haben.

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Die Musikklasse

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Schulcomputer

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Musikinstrumente für Kinder

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Eines der Klassenzimmer im ersten Stock der Schule. An der Wand unter der Tafel lässt sich noch immer der Wasserstand der Tsunamiwelle ablesen. An der Tafel stehen Worte, geschrieben von ehemaligen Einwohnern, Schulkindern und Arbeitern – ein Versuch, den Kampfgeist aller Opfer zu stärken: wir werden wiedergeboren werden / wir schaffen das, Fukushima / Scheiß TEPCO / wir sind Gegner beim Softball, doch immer vereint in unseren Herzen / wir werden ganz bestimmt zurückkehren / trotz allem ist dies der Zeitpunkt des Beginns unserer Wiedergeburt / ich bin stolz darauf, meinen Abschluss auf der Ukedo Volksschule gemacht zu haben / Fukushima ist stark / gebt nicht auf, lebt weiter / Ukedo Volksschule, du schaffst das / könnten wir nur in unser Leben am Meer zurückkehren / zwei Jahre sind vergangen, und die Ukedo Volksschule ist noch immer wie am 11. März 2011, dies ist der Beginn einer Wiedergeburt.

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Von Kindern der Schule gewonnene Medaillen und Trophäen

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Turnhalle

Schließlich besuchen wir die Farm von Masami Yoshizawas, der ebenso wie Matsumura bereits kurz nach dem Unglück auf die Farm zurückgekehrt ist, um sich um die verlassenen Tiere zu kümmern. Yoshizawas Geschichte ist aber auch sonst von Interesse. Nicht lange nach dem Unglück begannen seine Kühe, mysteriöse weiße Flecken auf der Haut zu entwickeln. Den Grund vermutet Yoshizawa in dem radioaktiv verseuchten Gras, das die Tiere fressen. Er versucht, seinen Fall an die Öffentlichkeit zu tragen, steht mit den Medien in Kontakt, protestiert vor dem japanischen Parlament, sogar in Begleitung einer seiner Kühe. Leider ist abseits von finanzieller Unterstützung und regelmäßigen Bluttests bei den Rindern keiner bereit, ausführlichere Tests zu finanzieren.

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Derzeit leben rund 360 Rinder auf Masami Yoshizawas Farm.

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Eine der Kühe mit weißen Flecken auf der Haut

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Eine weitere Kuh mit Flecken, im Stall

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Namie in der Abenddämmerung. Obwohl die Gegend völlig verlassen ist, funktionieren Ampeln und Straßenbeleuchtung noch.

FUTABA

Eine weitere Woche des Wartens, und endlich erhalte ich die Zutrittsgenehmigung für Futaba, eine weitere Stadt in der No-Go-Zone. Diese Stadt, die die direkt an das havarierte Kraftwerk grenzt, ist die Siedlung mit der höchsten Strahlenbelastung in der Zone. Aufgrund der viel zu hohen Strahlenbelastung wurden auch keinerlei Säuberungs- oder Dekontaminierungsarbeiten durchgeführt. Aus diesem Grund werden wir mit Schutzkleidung, Masken und Dosimetern ausgestattet.

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Der Checkpoint vor dem Kraftwerk Fukushima II. Im Hintergrund das Gebäude eines der Reaktoren.

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Verlassene Straßen in Futaba

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Eine Go-Kart-Bahn

Die enge Verbindung der Stadt mit dem nahegelegenen Kraftwerk ist nicht nur auf die geringe Distanz zwischen den beiden zurückzuführen. Neben der Hauptstraße, die zum Stadtzentrum führt, passiere ich ein Schild quer über die Straße, das sich als ein Slogan für Atomenergie entpuppt, der da lautet “Atomenergie ist die Energie einer glänzenden Zukunft” – heute stellt er eine ironische Mahnung an die zerstörerischen Auswirkungen der Nutzung von Atomstrom dar. Nur wenige hundert Meter weiter steht ein weiteres, ähnliches Schild.

 

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Ein Propagandaspruch über einer der Hauptstraßen von Futaba – „Atomenergie ist die Energie einer glänzenden Zukunft“

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Der zweite Propagandatext – „Lokale Atomenergie garantiert eine beschwingte Zukunft“

In Futaba werde ich von einem Ehepaar begleitet, Mitsuru und Kikuyo Tani (74 und 71), welche mir das Haus zeigen, aus dem sie evakuiert wurden. Sie besuchen es regelmäßig, doch aufgrund der Bestimmungen ist ihnen das maximal einmal im Monat möglich, und selbst dann nur für wenige Stunden am Stück. Sie nutzen diese Gelegenheiten, auch wenn sie bereits vor langer Zeit die Hoffnung auf eine permanente Rückkehr aufgegeben haben. Sie überprüfen, ob das Dach undicht geworden ist, oder ob die Fenster von Wind oder wilden Tieren beschädigt wurden. Falls nötig, führen sie kleine Reparaturen durch. Der Hauptgrund für ihre Besuche jedoch ist ein Sentimentaler, die Verbundenheit, die sie für diesen Ort empfinden. Eine Sehnsucht nach dem Ort, an dem ihre Wurzeln liegen, und wo sie ihr gesamtes Leben verbracht haben.

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Kikuyo Tani vor dem Eingang zu ihrem Haus

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Das Gästezimmer

Bei meinem Besuch in Futaba, das an das havarierte Kraftwerk grenzt, kann ich der Versuchung nicht widerstehen, das Corpus Delicti der Atomkatastrophe zu fotografieren, doch leider sind alle Straßen, die zum Kraftwerk führen, gesperrt und schwer bewacht. Mit etwas Einfallsreichtum kann man es jedoch trotzdem sehen. Doch zuerst mache ich mich auf dem Weg, um eine nahe gelegene Schule zu besuchen.

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Eine Schule in Futaba. Ein Dosimeter zeigt die Strahlenbelastung von 2,3 uSv/h

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Zurückgelassene Musikinstrumente

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Zurückgelassene Musikinstrumente

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Das beschädigte Kraftwerk Fukushima I

Beim Verlassen der roten Zone wird man einem verpflichtenden Strahlencheck unterzogen.

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Dosimetrische Kontrolle

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Wir sind dran

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Alles im grünen Bereich

Nahe an der roten Zone entdecke ich zufällig einen verlassenen PKW. Er ist aus der Entfernung kaum sichtbar, fast vollständig von grünen Schlingpflanzen überwuchert. Als ich mich nähere, bemerke ich mehrere weitere Fahrzeuge, fein säuberlich in mehreren Reihen abgestellt. Ich schätze, dass die Wagen verstrahlt und deshalb von den Besitzern zurückgelassen wurden. Nur einen Augenblick später bestätigt das Piepsen meines Geigerzählers meine Vermutung.

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Einer der verlassenen PKW

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Einer der verlassenen PKW

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Verlassene PKW

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Das aktuelle Strahlungsniveau zeigt 6,7 uSv/h

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Abstellplatz für die Fahrzeuge. Luftaufnahme.

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Abstellplatz für die Fahrzeuge. Luftaufnahme.

INNENRÄUME

Während der Zeit, die ich in der Zone verbringe, lege ich großes Augenmerk auf das Fotografieren von Innenräumen. Fotografien dieser Art veranschaulichen auf eindrucksvolle Weise die menschliche und ausgesprochen persönliche Dimension dieser Tragödie. Sie machen uns auch darauf aufmerksam, was die Einwohner von Fukushima verloren haben, und wie wenig Zeit ihnen für die Evakuierung blieb. Beim Fotografieren der Innenräume in den Gebäuden werden die Parallelen zu Chernobyl noch eindrucksvoller, auch wenn es in Chernobyl, 30 Jahre nach der Katastrophe und tausende Touristen später schwer ist, noch irgendetwas Unberührtes zu finden. Einmal liegt ein Teddybär unter zahllosen Gasmasken begraben, und ein Monat später sitzt er am Fenster, damit ein Tourist ein Bild in besserem Licht machen kann. Manch ein Anblick wurde erst nach dem Unfall in seiner jetzigen Form in Szene gesetzt. In Fukushima bleibt das Unglück eingebrannt in die Erinnerung der Einwohner, der Evakuierungsbefehl noch immer aufrecht, und das völlige Fehlen von Tourismus sorgt dafür, dass alles noch exakt so vorgefunden wird, wie es vor vier Jahren war. Spielzeug, Elektrogeräte, Musikinstrumente und sogar Geld wurden zurückgelassen. Nur eine Tragödie dieses Ausmaßes kann solche deprimierenden Szenerien produzieren.

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Restaurant

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Restaurant

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KFC

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Mc Donald’s

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Spielcasino

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Spielcasino

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Die Kasse im Spielcasino

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Spirituosenhandlung

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Spirituosenhandlung

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Friseurladen

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Ein Raum

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Ein Raum

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Kinderzimmer

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Supermarkt

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Supermarkt

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Supermarkt

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Supermarkt

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CD-Laden

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Apotheke

FAZIT

Ich bin nach Fukushima gekommen als Fotograf und Filmemacher mit dem primären Ziel, eine Fotoreportage zusammenzustellen. Ich war davon überzeugt, dass die Auswirkungen des Desasters mit eigenen Augen zu sehen mich in die Lage versetzen würde, die Auswirkungen der Kraftwerkshavarie und die Ausmaße der Tragödie, speziell der evakuierten Einwohner, besser beurteilen zu können. Es war eine Möglichkeit, meine eigenen Schlüsse zu ziehen, ohne von medialer Hysterie, Regierungspropaganda oder Nuklearlobbyisten beeinflusst zu werden, die versuchen, die Auswirkungen der Katastrophe herunterzuspielen, und die dadurch erhaltenen Informationen einem möglichst großen Publikum zugänglich zu machen.

Dies war erst meine erste Reise. Ich werde im Herbst nach Fukushima zurückkehren, und nichts deutet darauf hin, dass ich in näherer Zukunft damit aufhören werde. Dies sollte nicht als ein Abschied von Chernobyl verstanden werden, ich werde weiterhin regelmäßig beide Orte besuchen.

Vor sieben Jahren habe ich meine erste Reportage über Chernobyl mit folgenden Worten beendet:

„Eine unglaubliche Erfahrung, die sich mit nichts vergleichen lässt. Stille, das Fehlen von Geschrei, Gelächter, Tränen, und nur der Wind, der antwortet. Pripyat ist eine immense Lektion für unsere Generation.”

Haben wir seither irgendetwas dazugelernt?

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Beim Verlassen der Zone

Medienbeiträge über das Projekt

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PS: Wenn Sie Fotograf oder Filmemacher sind und mich auf meiner nächsten Reise nach Fukushima oder Chernobyl begleiten möchten, schicken Sie bitte Infos über sich an folgende Adresse: arek(at)podniesinski(dot)pl.

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5 thoughts

  1. Hallo Arkadiusz,

    Ich wollte Dir eine Email schreiben im Zusammenhang mit diesen unglaublichen Fotos aber die Email auf deiner Website funktioniert nicht. Könntest du schnell mal unter meiner Email schreiben? Es geht um die Publikation von diesen Fotos.

    Danke,

    Lizzie

  2. Guten Tag,
    ich möchte mich herzlich für Ihre Mühe und Arbeit bedanken.
    Die Bilder reden eine deutliche Sprache!!!
    Und doch will sich Japans Regierung immer noch nicht von der Atomkraft trenne.

    Grüsse aus einer sehr schönen und sonnigen Schweiz

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